Vorwort


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Am 21. Mai 2009 begeht Franz W. Wagner seinen 65. Geburtstag. Wie bereits die erste Festschrift vor fünf Jahren ist auch diese Festschrift nicht als abschließende Würdigung des wissenschaftlichen Werks des Jubilars konzipiert, sondern vielmehr als Zwischenbilanz und Aufforderung zu weiteren Aktivitäten.


Um die Wiederholung biographischer Daten zu vermeiden, sei auf Dirrigl/Wellisch/Wenger (2004) und Niemann (2009) verwiesen. Wir beschränken uns daher auf diejenigen Stationen des Lebenswegs Franz W. Wagners, die nach unserer Einschätzung einen prägenden Einfluß auf seine Einstellung zur Wissenschaft hatten.


Franz W. Wagner wurde am 21.5.1944 in Újpetre in Ungarn geboren. Jahrzehnte später sollte diese Region für den Jubilar und einige Autoren dieser Festschrift ungeahnte Bedeutung erlangen, da das nur 6 km von Újpetre entfernte Weingut Gere Attila zum Hauptlieferanten der Wagnerschen Denkstilgemeinschaft avancierte. Mit den nächsten beiden Lebensstationen des Jubilars in Sachsen und Freising verbinden die Verfasser keine vergleichbare Assoziation. Allerdings scheint das Umfeld an Wagners Freisinger Gymnasium seine leistungsorientierte Grundhaltung geprägt zu haben. Unter seinen Mitschülern wurde die Habilitation offenbar als Regelabschluß angestrebt, wenn auch nicht in der Oberprima. Offensichtlich liegt hier die Wurzel des Elite-Netzwerks Bayern, lange bevor der Begriff zum täglichen Brot von Hochschulpolitikern wurde und bevor Wagner diesem Netzwerk offiziell beitrat.


Nach dem Abitur nahm Franz W. Wagner 1964 das Studium an der LMU München auf, das sich nach eigenen Angaben in vollständiger Irregularität vollzog. Mit zunehmender Studiendauer verfestigte sich bei dem Studenten der Betriebswirtschaftslehre der Eindruck, daß ein Teil seiner akademischen Lehrer als Profiteure des nationalsozialistischen Brain-Drains in Positionen gelangt war, denen sie intellektuell und moralisch nicht gewachsen waren. Seine tiefe Ablehnung gegenüber Feudalsystemen in der Wissenschaft dürfte u.a. auf den Ausspruch eines berühmten Münchener Nachkriegsbetriebswirt zurückzuführen sein: "Wenn Sie hinter mir stehen, stehe ich hinter Ihnen". Als nicht minder abstoßend empfand der dem real existierenden Sozialismus Entkommene die Anbiederung von Fachvertretern an aufkommende sozialistische Tendenzen. Immer wieder gern berichtet der Jubilar von einem Professor, der in seinen Vorlesungen Wert auf die Feststellung legte, daß "die Produktionsfunktion vom Typ C auch im Sozialismus" anwendbar sei.


In diesem wenig inspirierenden Umfeld fand Franz W. Wagner rasch Gleichgesinnte. Mit einigen Kommilitonen verbindet ihn bis heute eine enge persönliche Freundschaft, die auch in Beiträgen zu dieser Festschrift zum Ausdruck kommt. Da auch in diesem Freundeskreis die Habilitation als Regelabschluß angestrebt wurde, wuchs das persönliche Elite-Netzwerk Bayern des Jubilars beträchtlich.


An dieser Stelle soll nicht verschwiegen werden, daß Wagner diesen Regelabschluß wenigstens zeitweise aus den Augen verlor. Was seine akademischen Lehrer nicht vermochten, wäre einem renommierten amerikanischen Konsumgüterhersteller beinahe gelungen. Ein Arbeitsvertrag und ein Firmenwagen der Marke Opel hätten Franz W. Wagner um ein Haar in die Absatzwirtschaft gelockt. Das Gefühl, hier etwas versäumt zu haben, mag die Ursache für die bis ins Jahr 2008 hartnäckig betriebenen Aktivitäten im Hochschulmarketing sein. Im Nachhinein sind seine Erleichterung und die Erleichterung seiner Kollegen und Schüler, dieses Angebot ausgeschlagen zu haben, umso größer. Vermutlich hätte er wie seine akademisch weniger ambitionierten Kommilitonen manchen Mittwochabend mit seiner Abteilung im Biergarten verbringen müssen und wäre mittlerweile in den unfreiwilligen Vorruhestand verabschiedet worden.


An der Universität Regensburg machte Franz W. Wagner die Erfahrung, daß Betriebswirtschaft auch wissenschaftlich betrieben werden kann. Nach diesem Intermezzo nahm er einen Ruf an die ehemalige Landwirtschaftliche Hochschule Stuttgart-Hohenheim an. Daß in Hohenheim damals eine eher ganzheitliche Form der BWL gelehrt wurde, kam z.B. darin zum Ausdruck, daß der Kapitalwert als Entscheidungskriterium erst im 7. Semester eingeführt wurde. Aufschlußreich ist auch die Auffassung eines in der lokalen Presse später als besonders kunstsinnig in Erscheinung getretenen Fachkollegen, daß die Indizierung von Summenzeichen in den Sozialwissenschaften unüblich sei. Derartige Eindrücke haben Wagners Andenken an die Universität Hohenheim tief geprägt. Da er aus seinen Impressionen keinen Hehl macht, ist der "Pförtner an einem schwach befahrenen Werkstor" 1 zu einem stehenden Begriff unter seinen Tübinger Assistenten geworden. Die damalige Promotionspraxis der dortigen Fakultät (cave canem!) mag dazu beigetragen haben, dass Franz W. Wagner als einer der ersten Fachvertreter seiner Generation dazu bereit war, dem Zeitschriftenmarkt das Urteil über die Qualifikation von Nachwuchswissenschaftlern zu überlassen.


Die Tübinger Fakultät, deren Ruf Franz W. Wagner 1986 folgte, zeigte sich seinen Restrukturierungsbemühungen gegenüber aufgeschlossener. Bereits Anfang der 1990er Jahre begann er mit der Bildung eines Schwerpunkts im damals noch nicht so genannten Accounting & Finance. Die internationale Ausrichtung der Fakultät nutzte er für die Etablierung des deutschlandweit äußerst erfolgreichen Studiengangs "Internationale BWL". So sehr Franz W. Wagner Tübingen als seine wissenschaftliche Heimat definiert, so wenig ist ihm die Gelehrtenrepublik am Neckar zur persönlichen Heimat geworden. Zwar pflegt er mit Stolz sein Archiv mit Devotionalien der 1968er Epoche ("Holt die Kohlen von den Monopolen!"), die zahlreichen überlebenden Mitläufer und Abkömmlinge dieser Generation, die in Tübingen ihr Refugium gefunden haben, verstärken seine Wertschätzung des Ortsausgangsschilds. Die 40 km Entfernung zwischen Wohn- und Arbeitsort sowie Alter und Zustand der Fahrzeuge eines süddeutschen Premiumherstellers, mit denen Franz W. Wagner diese Distanz zu überbrücken (und die Vorfahrt entschlossen wahrzunehmen) pflegt, erfüllten zahlreiche wissenschaftliche Mitarbeiter mit Sorge um ihre Humankapitalbildung.


Die Vertreibung der 68er aus Tübingen ist Wagner bis heute nicht gelungen, jedoch konnte er dazu beitragen, daß deren Überbleibsel aus bayerischen und niedersächsischen Wirtschaftsfakultäten verdrängt wurden. Insbesondere mit der Evaluierung der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten in diesen beiden Bundesländern in den Jahren 1998 und 2001 hat der Jubilar einen wichtigen Beitrag zur Modernisierung der deutschen Betriebswirtschaftslehre geleistet. Stets war ihm dabei bewusst, dass in diesem notwendigen Erneuerungsprozess nicht nur manch alter Zopf abgeschnitten wurde, sondern dass hier auch mit bewährten akademischen Traditionen gebrochen wurde. Auf diese Veränderungen hat er sich nicht nur mit wissenschaftlicher Souveränität eingestellt, sondern hat sie aktiv mitgestaltet. So zählte er bereits zu den Befürwortern kumulativer Habilitationen, als zahlreiche Wirtschaftsfakultäten die Monographie noch als unverzichtbares Element des akademischen Qualifikationsweges ansahen und ihrem wissenschaftlichen Nachwuchs auf diese Weise schwere Wettbewerbsnachteile aufbürdeten. Als überzeugter Marktwirtschaftler ist Franz W. Wagner auch bereit, kumulative Dissertationen trotz seines damit verbundenen persönlichen Unbehagens zu unterstützen.


Auch Wagners Einstellung zu Festschriften folgt dem Wandel der Publikationskultur der BWL und ist mittlerweile durch eine gewisse Skepsis gegenüber der inhaltlichen Qualität ihrer Beiträge geprägt. Die vorliegende elektronische Festschrift ist deshalb nicht als Letztverwertung der in ihr enthaltenen Arbeitspapiere konzipiert, sondern als Vorläufer einer Vielzahl von (hoffentlich) daraus entstehenden Aufsätzen in referierten Fachzeitschriften. Wir, die Herausgeber dieser elektronischen Festschrift, vertrauen auf den publizistischen Weitblick des Jubilars und hoffen, dass er sich durch eine Sammlung von ihm gewidmeten Diskussionspapieren mindestens ebenso geehrt fühlt wie durch eine traditionelle Festschrift in Buchform.


Die Herausgeber und alle Autoren von www.franz-w-wagner.de wünschen Franz W. Wagner (und unserem Fach), daß sein Engagement, seine Tatkraft und sein Ideenreichtum unserem Fach noch lange erhalten bleiben.




Im Mai 2009Dirk Kiesewetter & Rainer Niemann




Literatur


Dirrigl, Hans / Wellisch, Dietmar / Wenger, Ekkehard (Hrsg.) (2004): Steuern, Rechnungslegung und Kapitalmarkt, Festschrift für Franz W. Wagner zum 60. Geburtstag, DUV, Wiesbaden.


Niemann, Rainer (2009): Würdigung, Franz W. Wagner zum 65. Geburtstag, in: Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung 61, S. 313-315.



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1 Es ist unzutreffend, daß dieser Begriff später unter dem Namen "Werkstortheorie" Eingang in eine besonders subtile    Argumentation eines Richters am BVerfG zur Pendlerpauschale gefunden hat.